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Gerüchte und Behauptungen verbreiten sich wie ein Lauffeuer in İlker Çatak, Das Lehrerzimmer. Ein Film, der vor allem von der großartigen Leonie Benesch getragen wird.

Das Lehrerzimmer Banner

Carla (Leonie Benesch) ist eine junge und idealistische Lehrerin. Sie arbeitet neu an ihrer jetzigen Schule und ist unzufrieden mit dem Arbeitskredo, dem sich viele Lehrer verschreiben. Mit allen Mitteln versucht sie, das Richtige zu tun, biss eines Tages ein Diebstahl geschieht, der ausgerechnet die Mutter ihres Schülers Oskar (Leo Stettnisch) in Missgunst bringt.

Deutsche Filme über Schule und Schulwesen haben Tradition. Man muss da gar nicht so weit in die Vergangenheit gehen, um das zu bestätigen. Auch in jüngster Zeit wurde, vor allem mal wieder komödiantisch, besser gesagt vermeintlich komödiantisch, das Thema Schule in Werken wie Fack ju Göhte (2013) oder auch Eingeschlossene Gesellschaft (2022) das Bildungswesen weniger gekonnt aufs Korn genommen. Diese Anbiederungsversuche erbärmlichen Ausmaßes, mit vermeintlicher Substanz, sind natürlich nur etwas für Leute, die dem Kino sowieso keinerlei Bedeutung und Wertschätzung entgegenbringen. Doch in den letzten Jahren zumindest, daß kann man wohl sagen, hat sich immerhin das deutsche Arthaus-Kino grandios entwickelt und ist zu neuer Stärke gelangt. Daher gibt es wohl einen Film wie Das Lehrerzimmer. Es ist ein Film, der viele aktuelle Entwicklungen und Probleme im Schulwesen aufzeigt und tatsächlich in vielen Belangen nahe an der Realität ist. Auf der anderen Seite ist das Werk von Regisseur İlker Çatak in manchen Momenten vielleicht ein wenig zu gewollt und zu konstruiert. Das zeigt sich ganz besonders an dem endlosen Rattenschwanz, der sich aus der Prämisse mausern wird. Beispielsweise durch eine oder mehrere Solidargemeinschaften, die sich mit der Beschuldigten solidarisieren und dann natürlich gegen die Lehrkraft ziehen.

Nun, in einem System, daß aussondern soll und indem bereits kleine Kinder in ihrer schulischen Qualität gegeneinander ausgespielt werden, ist es aber, bei aller Liebe, doch eher unrealistisch, daß sich Menschen dafür einsetzten würden, daß eine Frau, die eine Straftat begangen hat, oder nicht, zurückkehren würde. Sicherlich kann man das nicht pauschal sagen, aber wer einmal in einer Schule gesessen hat, der wird doch auch erkennen, daß man sich in den seltensten Fällen in einen Konflikt einmischt, der zwischen zwei Parteien, besonders wenn eine, eine Machtposition hat, stattfindet. Das ist höchst unglaubwürdig, an einem sonst so interessanten und vielschichtigen Film. Denn die Wahrheit ist, daß Das Lehrerzimmer gar keine Wahrheit für den Zuschauer bereithält. Der Zuschauer beobachtet eine getriebene Lehrerin, die etwas beobachtet hat und tatsächlich zur falschen Zeit am falschen Ort eine Kamera laufen ließ. Und ab da wird der Film in seinen Leiter komplett spürbar. Es geht nicht mehr darum, eine Schuldfrage einfach zu klären, sondern zwischen Schuld und Unschuld den Menschen zu finden. Klingt pseudopathetisch, ist aber im Falle dieses Werkes zutreffend. Und dann wird klar, daß man eigentlich keinerlei Kontrolle mehr über irgendwas hat. Menschen reden, Schüler reden und auch Erwachsene reden. Natürlich ist es fraglich, ob eine Schülerzeitung so viel Macht hat, wie es dieser Film verdeutlichen will, doch der Kern ist ja ein ganz anderer. Wer hat hier eigentlich Macht?

Wer im pädagogischen Bereich tätig ist, wird schnell bemerken, daß so etwas wie Ideale, auch die Tatsache, jedem helfen zu wollen, gar keinen Platz hat. Das Lehrerzimmer ist eindrucksvoll darin, zu zeigen, was für ein Scheiß Job Lehrer eigentlich haben. Und es wahr, den Bildungsbeauftragten, wird tatsächlich sehr viel Macht genommen. Immer mehr Schüler klagen ihre Noten durch erzürnte Eltern ein, Fachkräftemangel hier und da und die Vorbereitungszeit, die man in dieses Leben steckt, sorgt dafür, daß man eigentlich kein Leben mehr hat. Rein tonal und auch von der Inszenierung erinnert der Film dabei sehr stark an Tár (2022). Wenngleich Regisseur Çatak hier ein deutlich besseres, getriebeneres und radikaleres Werk gelungen ist. Das zeigt sich nicht nur an grandiosen Schauspielerleistungen durch Leonie Benesch, sondern auch einfach an der Tatsache, daß, man hier sehr vielschichtige Menschen vorfindet, deren Moral und Triebe durchaus in jeder Form diskutabel sind. Auch Beneschs Figur Carla Novak bleibt nicht immer sauber, wenngleich man ihr das wünschen würde. Doch moralisch integer ist da sehr schwer. Und ihre Kollegen stellen dann natürlich auch fragen, ob das nun integer ist, oder nicht. Auch das ist natürlich ein wenig weit hergeholt, denn so offen konfrontativ, wie diese Lehrer hier sind, sind die wenigsten Menschen überhaupt. Aber es ist ja ein wenig verlogen, diese Professionalität wahren zu wollen, wenn man sich untereinander die gesamte Zeit bekriegt. Manchmal mit tatsächlichen Argumenten, hin und wieder aber auch nicht so rational. Und da macht Das Lehrerzimmer schon einiges richtig, weil Schulalltag, auch im Hinblick auf die Probleme, die Schüler haben und die auch Lehrer haben. Denn man muss erst einmal die Komplexität dieser Struktur durchleuchten. Es ist eben nicht so, daß man da einfach Dinge mit einfachen Mitteln lösen kann.

Denn vieles im Film dreht sich um die sogenannte Null-Toleranz-Politik. Ab dem Zeitpunkt spiegelt Das Lehrerzimmer die aktuelle Gesellschaft und vor allem Diskurse besser als die meisten anderen Filme, oben genanntes Werk mit Cate Blanchett eingeschlossen. Denn es geht darum, daß man Probleme ganz schnell aus der Welt schafft. Es geht darum, daß einen schuldigen hat. Der Film paraphrasiert dann wiederum Cancel Culture, durch das Entsorgen der vermeintlichen Täterin und dann auch Fake News in Form der Schülerzeitung und des allgemeinen Buschfunks an der Schule. Der Film ist da so einfach, daß es fast schon wieder genial ist und letzten Endes erkennt dann diese Figur, was sie eigentlich da in Gang getreten hat. Man braucht hier wiederum nicht mit Moral zu kommen. Es gibt keine Moral in dem Sinne und Menschen haben nun mal Ambivalenzen, ob es uns passt, oder eben nicht.

Fazit: Das Lehrerzimmer stellt eine beeindruckende Gesellschaftsanalyse in Aussicht, die sich viel mit der Wahrheit und Idealen befasst. Bis zum Schluß gibt es davon nämlich weder das eine, noch das andere mit klarer Antwort. Es ist ein Film, der sehr vieles zwar herbei konstruiert, aber das für einen höheren Zweck.



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Captain Schlabberhose (Diskussion) 10:03, 29. Mai 2023 (UTC)

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